Mein Tag bei einer "Groß-Familie"

Im Rahmen der Aktion "Perspektivwechsel" ist es zu einer guten Tradition geworden, dass Politiker aus dem Landtag sich regelmäßig unterschiedliche Einrichtungen aus ihrem Fachbereich anschauen und einen Tag aktiv am Leben vor Ort teilhaben. So nahm ich mir auch dieses Jahr die Zeit und besuchte eine Einrichtung zur Unterbringung und Versorgung von Jugendlichen, insbesondere von unbegleiteten minderjährigen Ausländern (umA). Es gibt viel Halbwissen und leider auch eine Menge Klischees und Stereotypen in Bezug auf Flüchtlinge. Daher beschloss ich, mir ein genaueres Bild zu verschaffen.

Die stationäre Einrichtung des Diakonischen Werkes – Stadtmission Dresden e.V., welche seit März 2016 in Dresden-Niedersedlitz ansässig ist, beherbergt 28 Jugendliche und leistet dort mit 17 Mitarbeitern Hilfe zur Erziehung für Kinder von deutschen Familien, aber auch für unbegleitete minderjährige Ausländer, die ohne Eltern oder Angehörige nach Deutschland gekommen sind. Dies betrifft etwa die Hälfte der Jugendlichen dort, welche aus Äthiopien, Somalia, Afghanistan und Syrien stammen, während die andere Hälfte in Deutschland geboren ist. Durch die gemeinsame Unterbringung und Betreuung soll eine bessere Integration gelingen und Vorurteile einander gegenüber abgebaut werden. Dabei sind die Heranwachsenden in drei gemischte Wohngruppen unterteilt, die unabhängig von Geschlecht, Nationalität oder Religion zusammenleben.

 

In dem ehemaligen Hotel gibt es 13 Doppelzimmer und ein Einzelzimmer mit jeweils eigener Nasszelle sowie eine separate Einzelwohnung, in der die Betroffenen den Alltag eines Erwachsenen üben können. Das Ziel der Einrichtung ist die Vorbereitung der Jugendlichen auf ein eigenständiges Leben, denn die Unterbringung bei der Diakonie endet mit dem 18. Lebensjahr. Von ausgebildeten Erziehern und Sozialpädagogen werden sie daher gezielt auf diesem Weg begleitet und durch jeweils individuelle Bezugserzieher in ihrer Entwicklung gefördert. Neben dem Schulbesuch gehören die regelmäßige Reinigung der Zimmer und des Gebäudes ebenso zu den Tätigkeiten, wie Kochen und Einkaufen. Hinzu kommen einmal pro Woche gemeinschaftliche Kurse, in denen die Jugendlichen ganz praktisch auf das spätere Leben vorbereitet werden sollen und die sich stark an den Bedürfnissen der Heranwachsenden orientieren. So werden Themen wie Alltagsrassismus, Ethik, Glaube oder das Asylrecht genauso besprochen, wie Behördengänge und das Grundgesetz.

 

Gleichzeitig werden die Jugendlichen in viele Gruppen integriert, in denen sie sich auch außerhalb der Einrichtung soziale Kompetenzen aneignen sollen. Die Bereitschaft umliegender Vereine, die Kinder aufzunehmen, sei groß und immer wieder kämen Anfragen für Kooperationen, so der Einrichtungsleiter. Natürlich gebe es auch ab und an Probleme unter den Heranwachsenden, jedoch weniger wegen ihrer unterschiedlichen Nationalitäten oder Glaubensrichtungen, sondern vielmehr aufgrund der typischen Schwierigkeiten, die Pubertierende haben.

 

Das bestätigte auch meinen Eindruck, den ich am Ende des Tages mitnahm. So waren die Jugendlichen untereinander sehr offen und hilfsbereit und auch Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede hielten sie nicht davon ab, gemeinsam zu kochen oder Sport zu treiben. Eine jungen (deutsche) Frau, die zusammen mit ihrem Bruder in der Einrichtung untergebracht ist, beschrieb das Zusammenleben auf beeindruckende Weise: Es sei wie in einer großen Familie. Auch wenn es ab und an mal chaotisch zugehe, helfe man sich gegenseitig, um mit den Problemen des Alltags zurecht zu kommen.