Schreiber (mal wieder) bei der "Schreib-Akademie"

"Ich habe mir nie vorgenommen, zu schreiben. Ich habe damit angefangen, als ich mir nicht anders zu helfen wusste, als die Schikanen gegen mich immer unerträglicher wurden", gab  Herta Müller in einem Gespräch einmal zu Protokoll. Natürlich meinte die Literatur-Nobelpreisträgerin damals nicht die Fähigkeit des Schreibens überhaupt, sondern vielmehr das Verfassen poetischer Texte. Dennoch drückt dieser Satz für mich genau das aus, was jemand durchleben muss, dem die Fertigkeiten des Lesens und Schreibens nicht einfach so vergönnt sind. Um das Tabuthema  des "(funktionalen) Analphabetismus'" und die davon Betroffenen wieder verstärkt in die Mitte unserer Gesellschaft zu rücken, habe ich vor über 2 Jahren die Patenschaft für eine Gruppe in Dresden übernommen. 

Am heutigen Donnerstagvormittag besuchte ich nun wieder meine "Patenkinder" (die zum Teil wesentlich älter sind als ich, weshalb der Begriff nicht richtig passend erscheint) in ihrer neuen "Heimat", dem DPFA-Bildungszentrum auf der Stauffenbergallee, um mich über ihre aktuellen Vorhaben zu informieren. Und einmal mehr hat sich meine "Schreib-Akademie" so einiges vorgenommen: Neben Betriebsexkursionen und der Teilnahme am Schreibwettbewerb von "KO alpha", wird die acht-köpfige Gruppe auch in diesem Jahr ein eigenes Buch veröffentlichen. So viel sei verraten: In der diesjährigen Ausgabe wird sich alles um Kochrezepte drehen. Dafür gibt's sogar prominente Schützenhilfe von Sternekoch Benjamin Biedlingmaier aus dem Bülow Palais. Das Buch richtet sich aber vor allem an die "Leidensgenossen" der "Schreib-Akademie", also an funktionale Analphabeten. Deshalb wollen sie komplizierte Rezepte einfach und verständlich formuliert aufschreiben. Mit einem Augenzwinkern bekam ich als kleines Dankeschön für meinen Besuch ein "Handbuch" für meine Arbeit als Abgeordneter (aus längst vergangenen Zeiten) geschenkt. 


Ich unterstütze diesen Mut und die Willensstärke der Acht, sich ihrem Problem zu stellen und etwas daran zum Positiven verändern zu wollen. Und ich setze mich dafür ein, dass Schreib- und Leseschwierigkeiten nach dem Schulabschluss nicht in Vergessenheit geraten, sondern frühzeitig Hilfe vermittelt wird. Dass der Schritt auf den Arbeitsmarkt mit viel Mühe, Fleiß und Hilfe nicht unmöglich ist, beweisen einige Teilnehmer aus dem letzten Jahr, die mittlerweile eine Ausbildung aufgenommen haben bzw. einen Schulabschluss nachholen. Eine Seminar-Absolventin arbeitet mittlerweile in einer Pflegeeinrichtung. Dass diese Arbeit für unsere immer älter werdende Gesellschaft weiter an Bedeutung gewinnt, darin stimmten wir bei der anschließenden Diskussion überein. Ich musste dabei jedoch leider auch betonen, dass der gesamte Bereich um die "Pflege im Alter" - ähnlich wie der Analphabetismus - ebenfalls noch immer zu den Tabuthemen unserer Gesellschaft zählt. Als pflegepolitischer Sprecher ist es mir daher ein Herzensanliegen, auch diese Thematik verstärkt in den Fokus zu rücken! Wichtig ist also, dass Betroffene sich mehr und mehr trauen, nach Hilfe zu suchen und nicht in eine Ecke gestellt werden. Deshalb bleibt bspw. die Arbeit der "Koordinierungsstelle Alphabetisierung" auch in Zukunft so wertvoll und wichtig! Weitere Informationen unter: http://www.koalpha.de

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